Regenbogens Interview

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Regenbogen

Regenbogens Interview

Beitrag von Regenbogen »

Was ist passiert?
Ich bin von kleinauf an viele Jahre sexuell ausgebeutet worden.


Gibt/Gab es Zeugen?
Alle Zeugen, die ich kenne, sind Täter.



Mit wem hast du darüber gesprochen?
Inzwischen: mit Freunden, Kollegen, Therapeuten und anderen Helfern.
Damals gingen alle Versuche, mir Hilfe zu holen schief. Während meines
Täterkontaktabbruchs war es mir wichtig, mich im näheren Kontakt nur noch
mit Menschen zu umgeben, die Bescheid wissen. Das Schweigen in all den
Jahren war genau das, was den Tätern die Möglichkeit gab, mir weiter
weh zu tun.



War es hilfreich, darüber zu reden?
Ja. Es war aber auch hart, denn jeder Versuch, zu reden, hat neue
Erinnerungen gebracht. Aber jedes Reden hat, da bin ich sicher, meine
persönliche und reale Sicherheit gestärkt. Ich stehe nicht mehr allein
in der Welt und habe Menschen, die mir helfen werden, wenn ich diese
brauche. Wichtig war es jedoch, die richtigen Gesprächspartner zu haben,
die damit umgehen konnten.


Was hilft dir, dich besser zu fühlen?
Ich versuche mein Leben so zu führen, dass ich mir selbst mein bester Freund
bin. Im Grunde ist das so, wie ich mir einen perfekten Freund vorstelle.

Das Verdrängen hat mir zwar eine Zeit lang das Leben gerettet, aber jetzt
rettet mein Leben, dass ich mich erinnere und für mich auf liebevolle Weise
einstehe und über den Tellerrand der Traumatisierung und meiner Geschichte
hinaus blicke, auf das Leben im Hier und Jetzt. Ich mag die Dinge des Alltags,
die für mich nicht selbstverständlich sind und ich liebe die Dankbarkeit für
all die kleinen (und großen) Erlebnisse, die mir gut tun.


Wie geht es dir heute?
Besser als vor einigen Jahren, aber ich bin noch immer arbeitsunfähig.


Wie hat sich dein Leben durch die Tat(en) verändert?
Die Taten haben mein ganzes Leben bestimmt. Ich war den Großteil meines
Lebens kein freier Mensch und ich habe lange gebraucht, das zu bemerken.
Es ist eher nicht so, dass ich sagen kann, wie die Taten mein Leben verändert
haben, denn in meinem Fall ist es sinnvoller zu fragen:

Wie hat die Zeit nach den Taten dein Leben verändert?
Meine Antwort darauf: Ich bin lebendiger geworden Ich kann das Leben
feiern und ich feiere es gern. Auf meine Art. Einen freien Willen zu haben,
das ist das Kostbarste auf der ganzen Welt. Überhaupt ist mein Blick darauf,
was im Leben wirklich wichtig ist, sehr klar geworden. Das nimmt mir eine
Menge "Alltagsbalast". Und ich genieße mehr, was da ist.



Welche Auswirkungen hatten die Taten auf deine Gesundheit?
Ich bin chronisch krank und arbeitsunfähig.


Welche Auswirkungen hatten die Taten auf deine Freundschaften, dein
Verhältnis zu deiner Familie oder deine Beziehung?

Ich habe, mit einer Ausnahme, alle Kontakte zu früheren Freunden und
erst recht zu der Familie abgebrochen. Ich möchte nicht mit Menschen
zu tun haben, die meine Geschichte glauben leugnen oder verharmlosen
zu müssen.


Wie denkst du heute über die Welt? Wie hatte sich das nach den Taten
verändert?

Ich müsste eher fragen: Wie hat sich deine Sicht auf die Welt verändert,
seit du dich an die Vergangenheit erinnerst?

Antwort: Ich nehme die Welt in all ihrer Grausamkeit und Schönheit wahr.
Es ist, als hätte jemand den Schleier weggezogen. Das gesamte Spektrum
möglicher Farben ist in meinen Fokus gerückt.


Was hat dir Mut gemacht?
Meine Lebenskraft. Die Menschen an meiner Seite. Mein Glaube. Nichts davon
ist unkaputtbar, auf Zeit gesehen. Aber solange ich am Leben geblieben bin,
gab es die Chance, gesund zu werden. Das habe ich irgendwann gefühlt und es
hat mir enorme Kraft verliehen.


Was ist dir wichtig im Leben?
Der freie Wille. Die Liebe. Die Vergebung. Das Mitgefühl. Das Miteinander.


Was möchtest du gern noch erreichen?
Ein Traum wäre es, wenn ich doch noch mal arbeitsfähig werden würde.


Wenn du Therapieerfahrungen gemacht hast, wie ging es dir damit?
Da war alles dabei: von purer Ablehnung, Leugnung und Bekämpfen durch Theras,
bis unerschütterliches Vertrauen, Unterstützung und der Mut anderer Theras,
mich auf meinem Weg zu begleiten. Von Retraumatisierung bis echter Hilfe.
Ohne die Therapie wäre ich nicht, wo ich heute bin. Das gilt auch für die
negativen Erfahrungen. Ich bin daran gewachsen und stabiler geworden.


Wie hat sich die Aufarbeitung auf dein Leben ausgewirkt?
Erstmal: ich bin am Leben geblieben. Und darüber hinaus bin ich meine
Freundin geworden, stärker, selbstbewusster, klüger, mitfühlender,
einfach besser, als zuvor.



Was sollte sich deiner Meinung nach in der Gesellschaft ändern, damit
Opfern besser geholfen ist?

Wir brauchen größere Einsichten in Taten und Tatfolgen, dass auch die
Allgemeinheit lernt, was Menschen anderen Menschen antun und antun
können, denn nur wenn wir voneinander und übereinander das Schlimmste wissen,
sind wir in der Lage, das Schlimmste zu erkennen, wenn es vor oder neben uns
geschieht. Damit verfällt der Schutz der Täter, die davon leben, dass man nicht
wahrhaben will, was zu grausam ist, sodass die Opfer keine Hilfe finden.
In diesem Sinne wünsche ich mir mehr Aufklärung über Taten, Tatfolgen und
sinnvolle Hilfen. Mehr und mehr und mehr.


Hast du Anzeige erstattet?
Nein. Ich möchte nicht unter einem Verfahren leiden, würde aber anzeigen, wenn
ich mir die Täter vom Leib halten müsste. Das würde ich auch dann tun, wenn ich
nicht sicher wäre, ob ich es gut überstehe.



Was wünscht du dir von deinen Helfern/ professionellen Helfern?
Offene, ehrliche Gespräche über Grenzen, Absichten und Probleme. Ein Wille zur
Weiterbildung, Mut, die eigenen Grenzen zu überwinden, eine Offenheit, sich auch
den schlimmsten gesellschaftlichen Dreck anzusehen, der da sein kann. Den Mut
und den Willen zur Sebstreflektion, wenn es in der Therapie hakt.



Was möchtest Du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Jeder Weg ist einzigartig. Was ich gut kann, musst du nicht gut können, so, wie ich
nicht gut können muss, was du gut kannst. Lern dich kennen, steh zu dir, sei dir Freund
und Freundin, denn du bist der Mensch, der dir selbst am nahesten stehen kann, um
dir zu helfen. Ich finde, ein Mensch, der einem besonders nahe steht, sollte ein
besonders guter Freund sein oder werden.

Und:
Scheitern ist auch ok. Es gehört zum Leben dazu. Aber ganz oft hast du die Chance,
nach dem Scheitern wieder aufzustehen. Manchmal muss man das jeden Tag aufs
Neue. Auch das ist das Leben. Herausfinden, was trägt. Tun, was gut für einen ist
und so oder so: das Leben in vollen Zügen leben. Jeden Tag aufs Neue, wie ein kleiner
Anfang einer neuen Geschichte, ein Abenteuer, eine Aufgabe, etwas, das man doch
irgendwie gestalten kann.


Möchtest du, dass andere etwas zu deinem Interview sagen können?

Das wäre ok.

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Jaguarin
Beiträge: 2976
Registriert: Do Jul 23, 2020 11:18 pm

Re: Regenbogens Interview

Beitrag von Jaguarin »

Hej,

ich hab dich gelesen.

Danke, dass du es mit uns teilst.

Jaguarin

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Wolkenstern
Beiträge: 1467
Registriert: Fr Jul 24, 2020 5:09 pm

Re: Regenbogens Interview

Beitrag von Wolkenstern »

Hallo Regenbogen,

ich habe Dich auch gelesen.

Mir gefällt besonders, dass Du Deine Freundin geworden bist.
Das klingt so schön und es ist ganz gewiss nicht einfach.

Ich wünsche Dir ganz viel Mut und Kraft für Deine weitere
Aufarbeitung und Verarbeitung.

Viele Grüsse
Wölkchen

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