Wölkchens Interview

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Wolkenstern
Beiträge: 1467
Registriert: Fr Jul 24, 2020 5:09 pm

Wölkchens Interview

Beitrag von Wolkenstern »

Was ist passiert?
s*x*eller Missbrauch durch meinen V*ter
Gewalt, Alkohol und Vernachlässigung zu Hause
s*x*eller Missbrauch durch Nachbarsjungen
V* durch einen Fremden

Wie oft ist es passiert?
s*x*eller Missbrauch mehrfach
V* einmal

Wie lange ist das her?
sMB durch meinen V*ter ca. von 5/6 Jahren an bis ca. 9/10 Jahre
sMB durch Nachbarsjungen von 10-12 Jahre
V* vor 20 Jahren am 05.07.2000

Gibt/Gab es Zeugen?
meine Mutter, die es als „Liebe“ betitelte und die Folgen bis heute leugnet
die jüngere Schwester des Nachbarjungens, die selbst von ihm mb wurde
Niemand

Mit wem hast du darüber gesprochen?
Es gibt ein paar Freunde, die Bescheid wissen.
Ansonsten habe ich bei der Seelsorge im KRH, in der Therapie und auch
wenn es notwendig wurde mit anderen Personen darüber gesprochen.
Ich habe bei der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von s*x*ellen
Kindesmissbrauch in der ehem. DDR an einem Interview und einer Anhörung
teilgenommen.

War es hilfreich, darüber zu reden?
Anfangs war ganz viel Angst und Scham dabei. Aber gerade in der Therapie
oder auch bei dem Interview und der Anhörung habe ich sehr viel Verständnis
erfahren, genauso hier im Forum, was mir sehr bei meinem Be- und Verarbei-
tungsprozess geholfen hat. Auch ist es hilfreich, dass ich einige enge Freunde
habe, die Bescheid wissen und wo ich so sein kann wie ich bin, ohne Angst
und Scham.

Was hilft dir, dich besser zu fühlen?
Ich mag Wasser, ob nun zu Hause in der Badewanne, im Pool oder eben
auch im See oder Meer. Baden und Schwimmen helfen mir sehr mich
leicht und reiner zu fühlen.
Ansonsten liebe ich auch das Streicheln von Tieren oder auch mal das
in den Arm nehmen eines Kuscheltieres oder angenehme Düfte zum Riechen
oder gute Bücher, Zahlen, Musik oder Malen.

Gelingt es dir, diese Hilfe auch zu nehmen?
Mal funktioniert es und mal ist es sehr schwer. Ich schaffe es da nicht immer
gnädig mit mir zu sein und mir einzugestehen, dass ich Hilfe brauche oder
auch, dass es in Ordnung ist, sie anzunehmen.

Wie geht es dir heute?
Mir geht es im Großen und Ganzen seit dem Therapieprozess, der 2019 endete,
besser. Aber es gibt auch Phasen, in denen die Vergangenheit mich einholt und
mir einen Strich durch die Rechnung macht. Es sind weniger die Taten selbst,
die mir Angst machen, als meine Ängste, die mich manchmal einsperren, wenn
es um meine Sozialen Ängste oder auch die Angst zum Arzt zu gehen geht.

Wie hat sich dein Leben durch die Tat(en) verändert?
Ich weiß nicht, wie es wäre, wenn es nie passiert wäre, weil ich mich nicht wirklich
an die Zeit davor erinnern kann. Aber ich bekomme manchmal gesagt, dass ich
als ganz kleines Mädchen sehr offen und locker und selbstbewusst war, sogar
Quecksilber nannte mich mein Bruder. Diese Lebendigkeit fehlt mir manchmal
und ich muss mich oft überwinden in soziale Situationen zu gehen und aus mir
herauszugehen.

Welche Auswirkungen hatten die Taten auf deine Gesundheit?
auf meine psychische Gesundheit sicherlich jede Menge (PTBS)
Ängste, körperlich keine äußerlich sichtbaren Folgen oder
schwerwiegenden Verletzungen

Welche Auswirkungen hatten die Taten auf deine Freundschaften, dein
Verhältnis zu deiner Familie oder deine Beziehung?

Es führte über viele Jahre zu einer sehr ambivalenten und nur schwer auszuhaltenden
Beziehung zu meinen Eltern, mehrfachen Kontaktabbrüchen und Missverständnissen
von außen sowie Kontakt zum T*ter wegen meines Gewissens. Die Mitwisserschaft
meiner Mutter machte mir anfangs sehr zu schaffen, aber ihre Krankheit und seine
Verlegung in ein Pflegeheim haben uns wieder einander annähern lassen, auch wenn
es immer wieder Reibungspunkte gibt, wenn es um sein Verhalten oder auch ihre
Haltung in der Vergangenheit geht.
Ich bin generell eher zurückhaltend, wenn es um Vertrauen geht. Es macht
Freundschaften nicht immer leicht, weil ich doch sehr überlegt bin, was ich
Preis geben will und was nicht.

Wie denkst du heute über die Welt? Wie hatte sich das nach den Taten
verändert?

Wie sich meine Sicht nach den Taten verändert hat, vermag ich nicht zu beurteilen.
Ansonsten denke ich, dass das Leben sehr schön sein kann, aber es leider auch
sehr schlechte Menschen und Ereignisse macht, die einem im Leben auch ereilen
können. Dinge passieren. Ich glaube da auch nicht an Schicksal oder Vorbestimmung,
was mir die Sache als Zufallsgeschehen auch leichter zu akzeptieren macht.

Was hat dir Mut gemacht?
die kleinen Fortschritte bei der Be- und Verarbeitung meiner Vergangenheit

Was ist dir wichtig im Leben?
mein Bruder, meine Nichte, meine Freunde, meine Arbeit, meine Interessen

Was möchtest du gern noch erreichen?
Ich würde gerne etwas selbstbewusster und offener werden, meine Arztphobie
überwinden und auch beruflich weiter vorankommen.

Wenn du Therapieerfahrungen gemacht hast, wie ging es dir damit?
Anfangs war es schwer sich auf Therapie einzulassen. Ich hatte 2007 einen
Versuch, der dann doch abrupt endete, weil mir die Methoden zu abstrakt
waren und ich vielleicht auch zu instabil war. 2017 bis 2019 habe ich eine
tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie gemacht. Es hat auch eine
Weile gedauert, bis ich mich darauf einlassen und der Therapeutin vertrauen
konnte. Vor allem der Trennungsprozess war sehr schwierig. Und auch wenn ich
trotz unzähliger Literatur noch nicht ganz verstanden habe, wie es wirkt, so
hat es mir sehr geholfen.

Wie hat sich die Aufarbeitung auf dein Leben ausgewirkt?
In manchen Phasen war es kritisch und ich glaubte schon nicht mehr daran, dass
es besser werden könnte. Aber heute bin ich froh, dass ich mich den Prozessen
gestellt habe und ich will auch noch weiter daran arbeiten, dass die Einschränkungen
für mein Leben doch noch etwas geringer werden.

Welches ist dein Lebensmotto?
Bewusst fällt mir keines ein.

Was sollte sich deiner Meinung nach in der Gesellschaft ändern, damit Opfern besser geholfen ist?
Kinder sollten rechtzeitig über sMB aufgeklärt werden und darin
bestärkt werden sich und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und
über ihren Körper selbst bestimmen zu dürfen.

Evtl. könnte man auch Selbstverteidigung durchaus ins Sportprogramm
des Schulunterrichts mit aufnehmen. Später kostet es doch sehr viel
mehr an Überwindung solche Kurse zu besuchen, gerade wenn die
Ängste durch sexuelle Gewalt bereits ausgeprägt sind.

Generell könnte man noch etwas mehr für das Selbstbewusstsein/
-vertrauen von Kindern tun und sollte aktiv in allen Bereichen daran
arbeiten. Das würde alle Kinder stärken, auch ohne Erfahrungen mit
sMB.

Hast du Anzeige erstattet?
gegen meinen V*ter nicht
gegen den Nachbarsjungen hat die Schwester Anzeige erstattet und mich als
Zeugin benannt
bei der V* wurde ich zu einer Anzeige gedrängt

Gab es eine Verhandlung?
bei dem Nachbarsjungen gab es eine Anhörung bei der Staatsanwaltschaft
es fand kein Verfahren statt, weil er sich schuldig bekannte und freiwillig
in die Psychiatrie einweisen lies
der T*ter konnte nicht ermittelt werden, weshalb das Verfahren eingestellt wurde

Wie sollte sich das Rechtssystem verändern, damit Opfern besser geholfen wird?
Opfer sind nicht die T*ter (es sollte in erster Linie um den Schutz und die Bedürfnisse
der Betroffenen gehen)

Was wünschst du dir von deinen Helfern/ professionellen Helfern?
Zuhören und Hilfe ohne Bedingungen/ Forderungen
Verständnis, angemessenes Maß an Nähe und Abstand

Was möchtest Du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Es gibt nicht den einen „richtigen“ Weg solche Geschichten zu verarbeiten.
Jede/r Betroffene muss für sich den eigenen Weg finden. Tipps und Ratschläge
von außen sind Empfehlungen, die hilfreich sein können, es aber nicht sein
müssen. Vertraut auf Euch, dass Ihr als Fachfrau/ -mann für Euer Leben
herausfinden werdet, was Ihr braucht.

Möchtest du, dass andere etwas zu deinem Interview sagen können?
Es wäre okay für mich.

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Jaguarin
Beiträge: 2976
Registriert: Do Jul 23, 2020 11:18 pm

Re: Wölkchens Interview

Beitrag von Jaguarin »

Hallo Wölkchen,

danke für dein Interview.

Wow, was für eine gute Idee, Selbstverteidigung in der Schule zu lernen!
Und wieviel sinnvoller als Geräteturnen oder Volleyball!

Ich finde es so schön zu lesen, wie gut du vorwärts gekommen bist.
Obwohl es schwer war und ist, gehst du immer weiter. Das finde ich
ermutigend.

Danke.
Jaguarin

Regenbogen

Re: Wölkchens Interview

Beitrag von Regenbogen »

Hallo Wölkchen,

ich finde es enorm, wie Du vom wenigen Reden zum Interview und zur Anhörung
gekommen bist. Danke für Deinen Mut, Dein Durchhaltevermögen und dass Du
zu Dir stehst und Dich hier zeigst und dort gezeigt hast. Menschen wie Du sind
wichtig für uns alle.

Viele liebe Grüße

Regenbogen

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