Emmas Interview

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Moderatoren: Susi, Jaguarin, Adminas

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Emma

Emmas Interview

Beitrag von Emma »

Was ist passiert?

Ein flüchtiger Bekannter hat mir in meiner damaligen Wohnung
die Luft zum Atmen genommen. Zeitgleich hat er mir gedroht, mich umz*br*ng*n, wenn ich „nicht mitm*che“. Dann hat er mich v*rg*w*lt*gt.

Wie oft ist es passiert?

Einmal.

Wie lange ist das her?

Bald 16 Jahre

Gibt/Gab es Zeugen?

Nein, nur der Porzellan Engel an meinem Bett.

Mit wem hast du darüber gesprochen?

Anfangs mit nahezu jedem, reflexartig.

War es hilfreich, darüber zu reden?

Es war für mich gefühlt überlebensnotwendig,
ich konnte gar nicht anders!
Ich bin so in innerer Not gewesen und suchte nach Hilfe: Ich musste einfach sprechen!

Was hilft dir, dich besser zu fühlen?

Schreiben, reden, malen, zeichnen, singen, tanzen, spazieren gehen, schlafen,
Bedarfsmedikamente nehmen, gute Gespräche führen, bewusstes atmen, Achtsamkeit,
Musik, Selbstausdruck, Farben, Vorbilder, gehalten werden, Raum haben dürfen,
ernst genommen zu werden mit dem was gerade ist, Dinge da sein lassen dürfen.
Je nachdem.

Gelingt es dir, diese Hilfe auch zu nehmen

Ja, oft schon, manchmal aber auch nicht.

Wie geht es dir heute?

Soweit okay, aber ich bin weitgehend raus aus dem,
was andere wohl als normales Leben betrachten:

Meine Energie und meine Stimmung gleicht heutzutage einem Feuer:
mal brennt sie kraftvoll und wärmend,
dann wider glimmt sie nur auf Sparflamme
und droht fast auszugehen und manchmal habe ich fast Sorge, dass sie zu stark brennt
und alles um sich herum zum Kochen bringt, vor lauter Kraft und Leidenschaft.

Wie hat sich dein Leben durch die Tat(en) verändert?

Einmal komplett. Zuerst hatte ich noch ein gutes Netz an Kontakten, dann aber nicht mehr. Ich hab ständig Übernachtungsmöglichkeiten organisiert und letztlich in WGs gewohnt bis ich wieder eine eigene Wohnung hatte.
Ich habe mich zurückgezogen, an die Fortführung des Studiums war nicht mehr zu denken.
(Das Studienfach war nach der T*t ein Trigger).
Ich war sehr verängstigt und
bin zutiefst schreckhaft gewesen,
habe immer mehr und mehr abgenommen,
sehr exzessiv Sport betrieben und Dr*g*n genommen, um den Schm*rz zu regulieren.
18 Monate später hat man mich aus einer lebensbedrohlichen Situation gerettet.

Welche Auswirkungen hatten die Taten auf deine Gesundheit?

Ich bin jetzt chronisch krank.

Welche Auswirkungen hatten die Taten auf deine Freundschaften, dein
Verhältnis zu deiner Familie oder deine Beziehung?


Oh, das ist eine wahre Zerreißprobe gewesen. Nicht jeder, mit dem ich damals zu tun hatte,
wollte sein heiles Weltbild um meine Erfahrung hin erweitern.

Wahrscheinlich kann ich das alles überschreiben mit: Fassungslosigkeit und Verunsicherung.

Meine Kontakte waren arg strapaziert.
Nur wenige Beziehungen haben das gut überstanden.

Wie denkst du heute über die Welt? Wie hatte sich das nach den Taten
verändert?


Nach der T*t ist mein altes Weltbild in Sch*rb*n gelegen, nichts war gefühlt mehr wie zuvor.
Kein Stein mehr auf dem anderen.
Ich musste mich erst einmal dafür entscheiden, damit leben zu wollen. Mit diesem Schm*rz und dem kaputten Weltbild.
Und die Kraft, die es gebraucht hat um damit überhaupt sein zu können, die musste ich erst einmal suchen in mir.
Bis ich sie (wieder)gefunden hatte (in mir) sind Jahre vergangen.
Mein Vertrauen rutscht immer noch recht rasch weg. Die Welt ist wie sie ist. Sie ist nicht nur dunkel, nicht nur hell,
sie ist schwarz-weiß in Farbe, dunkelbunt
- so irgendwie. Es kommt auf die Menschen an.
Die Menschen formen die Welt.

Ich gebe mir Mühe, immer mehr in ein positiveres Weltbild für mich hinein zu finden.
In eines, dass die T*t umfassen kann, eines, das eben um dieses tiefe Tal weiß und es mitnimmt, integriert und gleichzeitig nicht ausklammert, dass das Leben so schön sein kann.

Was hat dir Mut gemacht?

One Billion Rising, die Sängerin Milck mit ihrem Song „Quiet“, Pussyhats stricken,
die Me too Bewegung, Freundinnen, die zu mir stehen, das Forum, Vorbilder,
einen Raum zu haben für Dinge, über die gesprochen werden muss,
der Womans March in Amerika, w*ibliche Spiritualität, Fr*u*nkr*ise,
zu wissen, dass ich „damit“ nicht alleine bin, von Vorbildern zu hören, zu wissen und zu spüren,
dass es Fr*uen gibt, die bereits gelernt haben, "damit" zu leben und zu sein.

Was ist dir wichtig im Leben?

Gestaltungsmöglichkeiten, Musik, Tiefe, Offenheit, Vertrauen, Räume für Begegnung, Schw*st*rnschaft
und Fr*u*nkr*ise, Luft zum Atmen, Farben, Lebendigkeit, Humor und Leichtigkeit, Achtsamkeit, Langsamkeit,
Bewusstheit, gute Gespräche, Verbundenheit, Fr*u*nkraft, Dankbarkeit, Würde, Respekt, M*tter Erde, Spielfreude, gute Beziehungen zu haben, Güte und zu wissen, dass das Große ganz arg oft im Kleinen zu finden ist.

Was möchtest du gern noch erreichen?

Große Pläne habe ich keine mehr. Mir fehlen die Mittel um Dinge umsetzen zu können, aber ich unterstütze gerne Menschen und Ideen in meinem kleinen Umfeld.
Ich schaffe einfach an dem weiter, was mir so möglich ist und davon wird wahrlich nichts vergebens sein, alles wird – auch im Kleinen - seine Wirkung entfalten, früher oder später, hier oder dort, so oder in einer anderen Form. Daran will ich fest glauben!

Wenn du Therapieerfahrungen gemacht hast, wie ging es dir damit?

Unterschiedlich. Lange habe ich gehört, ich sei nicht stabil genug für eine Therapie. Von meiner momentanen Therapie profitiere ich aber sehr.
Eine Therapeutin in einer Klinik war ebenfalls recht hilfreich für mich und nicht zu vergessen:
Die Seelsorgerin im Klinikkomplex damals.
Andere Settings wiederum haben gefühlt nichts gebracht gehabt.

Wie hat sich die Aufarbeitung auf dein Leben ausgewirkt?

Sie wirkt noch. Ich bin noch dabei.
Zeitweise hat das alles mein Leben schon arg beeinflusst.
Manchmal hatte ich das Gefühl, es wäre zu meiner „Lebensaufgabe“ geworden.

Welches ist dein Lebensmotto?

Ich habe keins.

Was sollte sich deiner Meinung nach in der Gesellschaft ändern, damit Opfern besser geholfen ist?

G*w*lt sollte nicht mehr so salonfähig im Sinne von 'überall präsent' sein. Ich fände es schön, wenn wir uns als Gesellschaft wieder mehr auf das besinnen würden,
was dem Leben dient, was gesund erhält und was die Menschen stärkt und nährt. Ich sehne mich nach einem Kulturwandel hin zu mehr Selbst- und Nächstenliebe.
Wertvoll und kostbar fände ich es, wenn es mehr positive mediale Kampagnen gäbe
und sich die TV Branche neu orientieren wollte, damit G*w*lt nicht so unreflektiert als Unterhaltungsform eingesetzt wird.
Das ist jetzt einfach mal laut gedacht.
Ich finde, es ist hier einfach ein Umdenken gefragt. Für den Anfang würde uns allen vielleicht sogar einfach nur mal ein
'in Frage stellen' gut tun, damit eine Auseinandersetzung die Dinge etwas aufrütteln hilft, die leider schon viel zu lange
mit einem „kommt halt vor“ oder „dumm gelaufen“ akzeptiert, geduldet und letztendlich toleriert werden… .

Hast du Anzeige erstattet?

Ja.

Gab es eine Verhandlung?

Nein.

Wie sollte sich das Rechtssystem verändern, damit Opfern besser geholfen wird?

Damit kenne ich mich nicht aus, da habe ich gerade keine Idee zu.

Was wünschst du dir von deinen Helfern/ professionellen Helfern?

Ich will den Mensch dahinter spüren, Durchlässigkeit, Berührbarkeit, Weite im Denken und im Fühlen,
Bereitschaft, den eigenen Horizont um unseren Dialog hin erweitern zu wollen. Was mir persönlich am meisten hilft:
Räume in denen Tabus angesprochen werden dürfen und die so eine Weite haben, dass ich mich darin aufgehoben fühlen kann,
ernstgenommen und wichtig mit dem was mir auf dem Herzen liegt. Schlicht und einfach: Gesehen und angenommen zu sein
mit allem was ich mitbringe und was mich ausmacht.

Was möchtest Du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Sage JA zu Dir selber.

Gibt es etwas, das du der Täterin oder dem Täter (auch Mehrzahl) oder auch
den absichtlichen oder unabsichtlichen Helfern der Täter oder Täterinnen sagen möchtest?


Tue so etwas bloß nie wieder!!

Möchtest du, dass andere etwas zu deinem Interview sagen können?

Hmhm.. . Ja. Okay.

Regenbogen

Re: Emmas Interview

Beitrag von Regenbogen »

Ich habe Dich gelesen. Wieder einmal bin ich traurig, dass ein
Leben so zerbrochen wurde. Und ich lese Deine Kraft heraus. Danke.


Und danke für Deinen Mut, Dich hier mitzuteilen.

Regenbogen

Emma

Re: Emmas Interview

Beitrag von Emma »

Danke Regenbogen für Dein Mitgefühl!

Zerbrochen fühlt sich mein Leben zum Glück nicht an,
aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich keinen Vergleich
zu anderen Erfahrungen habe.

Grüße und Danke für Deine Nachricht!
Emma

Regenbogen

Re: Emmas Interview

Beitrag von Regenbogen »

Umso besser, wenn es sich nicht so anfühlt. *wink*

Ich meinte damit auch nur, dass vieles nicht mehr so war, wie vorher.

Emma

Re: Emmas Interview

Beitrag von Emma »

Ja. In diesem Sinne ist es gebrochen, stimmt.
Eine Freundin hat einmal davon gesprochen, dass es oft mehrere Leben in einem gibt.. .
Wenn ich es so sehe, erhält sich mir die Kraft und das Brüchige, das Fragile hat dennoch seinen Platz.

Danke für Deine Worte!

Emma

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Susi
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Registriert: Fr Jul 24, 2020 8:21 pm

Re: Emmas Interview

Beitrag von Susi »

Ich habe Dich gelesen.

Susi

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Jaguarin
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Registriert: Do Jul 23, 2020 11:18 pm

Re: Emmas Interview

Beitrag von Jaguarin »

Hallo Emma,

danke, dass du uns an diesem Teil deiner Geschichte teilhaben lässt.

Stark, dass du es erzählen kannst.

Viele Grüße
Jaguarin

Emma

Re: Emmas Interview

Beitrag von Emma »

Danke euch!

Emma

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